Pressemitteilung vom 28. November 2017

Artenverlust zerstört Ökosysteme

Das "Jena Experiment" - ein Rückblick auf 15 Jahre Biodiversitätsforschung

Wie schwer wiegt der globale Artenverlust? Sind Stoffkreisläufe in einem Ökosystem mit wenig Arten verändert? Um dies zu klären, wurde 2002 das "Jena Experiment" etabliert, eines der größten Biodiversitätsexperimente weltweit. Ein Wissenschaftlerteam, an dem auch UFZ-Forscher beteiligt waren, hat nun unter Leitung der TU München die Ergebnisse zusammengefasst und im Fachjournal Basic and Applied Ecology veröffentlicht.

Das Jena Experiment beweist aufgrund seiner Breite erstmals, dass ein Verlust der Artenvielfalt negative Konsequenzen für viele einzelne Komponenten und Prozesse in Ökosystemen hat. Foto: Das Jena Experiment
Das Jena Experiment beweist aufgrund seiner Breite erstmals, dass ein Verlust der Artenvielfalt negative Konsequenzen für viele einzelne Komponenten und Prozesse in Ökosystemen hat.
Foto: Das Jena Experiment

Ein Ökosystem stellt für den Menschen Naturleistungen bereit wie zum Beispiel die Fruchtbarkeit des Bodens, die Grundwasserqualität, die Produktion von Nahrungsmitteln oder auch das Bestäuben durch Insekten, was essentiell für viele Früchte ist. Deshalb sind intakte Ökosysteme fürs Überleben aller Lebewesen wichtig. Welche funktionelle Bedeutung hat somit das Sterben der Arten? Kann der weltweite Artenverlust dazu führen, dass Ökosysteme am Ende schlechter "funktionieren"?

Die Ergebnisse des Langzeitprojektes "Jena Experiment", das von der Friedrich-Schiller-Universität Jena koordiniert wird, hat ein Team von Wissenschaftlern verschiedener Institutionen unter der Leitung der TU München in der Zeitschrift Basic and Applied Ecology zusammengefasst.

"Eine Besonderheit am Jena Experiment ist die Tatsache, dass wir über 15 Jahre unsere Untersuchungen und Analysen durchgeführt haben", erklärt Prof. Weisser von der TU München und Erstautor der Studie. "Da der Einfluss der Biodiversität verzögert sichtbar wird, konnten wir manche Effekte erst ab dem Jahr 2006 oder 2007 beobachten - also vier oder fünf Jahre nach Beginn des Projektes." Werde ein Lebensraum durch menschliches Eingreifen zerstört, sterbe eine Art meist nicht sofort aus, sondern einige Zeit später. Und dieses Aussterben hat nach dieser Erkenntnis dann einen zeitverzögerten Effekt auf die Stoffkreisläufe.

Die Effekte der Biodiversität wurden im Jena Experiment entsprechend über die Zeit stärker: In artenreichen Gemeinschaften wurden die positiven Effekte wie etwa die Kohlenstoffspeicherung im Boden, die mikrobielle Atmung oder die Entwicklung der Bodenfauna erst mit der Zeit stärker. Andererseits wurden genauso die negativen Effekte von Monokulturen später sichtbar. "Dies bedeutet, dass die negativen Effekte des derzeitigen Artenverlustes erst in einigen Jahren vollständig augenscheinlich werden", warnt Weisser. 
  
Der Landwirt ist nicht erfolgreicher als die Natur
80.000 Messungen wurden von interdisziplinär aufgestellten Arbeitsgruppen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden durchgeführt. Auf mehr als 500 Versuchsparzellen hatten sie unterschiedlich viele Pflanzenarten angesät, von Monokulturen bis zu Mischungen von 60 Arten. Neben Pflanzen wurden auch alle weiteren im Ökosystem vorkommenden Organismen untersucht - im und oberhalb des Bodens. Daneben sind von Bodenkundlern die Stoffkreisläufe von Kohlenstoff, Stickstoff und Nitrat und auch der Wasserkreislauf über den gesamten Zeitraum von 15 Jahren untersucht worden.

"Eine Besonderheit sind aber auch die vielfältigen Untersuchungen an den Pflanzen selbst in den verschiedenen artenreichen Mischungen des Jena Experimentes" sagt UFZ-Wissenschaftlerin Dr. Christiane Roscher, die noch als Mitarbeiterin der Friedrich-Schiller-Universität Jena wissenschaftliche Koordinatorin und maßgeblich am Aufbau des Jena Experimentes beteiligt war. In den letzten Jahren hat sich immer deutlicher gezeigt, dass nicht Artenzahlen alleine, sondern die funktionelle Vielfalt der Artengemeinschaften besonders wichtig für die positiven Effekte der Artendiversität auf Ökosystemprozesse ist.

Die Ergebnisse des Experiments führen unter anderem zu folgenden Schlussfolgerungen:

  • Artenreichere Wiesen hatten über die gesamte Zeit des "Jena Experiments" eine höhere Produktivität als artenarme Wiesen. Eine gesteigerte Bewirtschaftungsintensität durch zusätzliche Düngung und eine häufigere Mahd erreichte denselben Effekt: Wenn ein Landwirt bestimmte Arten fördert und düngt, ist er im Durschnitt betrachtet folglich nicht erfolgreicher als die Natur.
  • Die Energie der Biomasse (Bioenergiegehalt) von artenreichen Wiesen war deutlich höher als der von artenarmen Wiesen, zugleich aber ähnlich hoch wie viele der heute stark subventionierten Arten wie etwa von Chinaschilf.  
  • Artenreiche Flächen hatten eine bessere Kohlenstoffspeicherung.
  • Die Anzahl von Insekten und anderen Arten war auf artenreichen Wiesen deutlich höher.
  • Wechselwirkungen zwischen Arten wie etwa Bestäubungen fanden auf artenreichen Wiesen häufiger statt.
  • Artenreichere Wiesen transportierten Oberflächenwasser besser in den Boden.
  • Artenreiche Ökosysteme waren stabiler gegenüber Störungen wie Dürren oder Überschwemmungen als artenarme Ökosysteme.

Das Jena Experiment beweist aufgrund seiner Breite erstmals, dass ein Verlust der Artenvielfalt negative Konsequenzen für viele einzelne Komponenten und Prozesse in Ökosystemen hat. Das weltweite Artensterben bedeutet also nicht nur, dass ein Teil des evolutionären Erbes der Erde unwiederbringlich verloren geht und der Mensch seiner Fürsorgepflicht gegenüber anderen Geschöpfen nicht gerecht wird, sondern es hat direkte unangenehme Folgen für den Menschen. Das Artensterben wirkt sich unter anderem auch auf die Stoffkreisläufe aus - und diese nehmen direkten Einfluss auf den Wasserhaushalt, der Quell allen Lebens. 

Neuer Sprecher des Jena Experimentes ist Professor Nico Eisenhauer vom deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Der Experte von der Universität Leipzig wird das Experiment fortführen, um die Mechanismen, die den Biodiversitätseffekten zugrunde liegen, noch genauer aufzuklären.
(PM-Quelle: TU München)


Publikation
Weisser WW., Roscher C., Meyer S., Ebeling A., Luo G., Allan E., Beßler H., Barnard R., Buchmann N., Buscot F., Engels C., Fischer C., Fischer M., Gessler A., Gleixner G., Halle S., Hildebrandt A., Hillebrand H., Kroon Hd., Lange M., Leimer S., Roux XL., Milcu A., Mommer L., Niklaus P., Oelmann Y., Proulx R., Roy J., Scherber C., Scherer-Lorenzen M., Scheu S., Tscharntke T., Wachendorf M., Wagg C., Weigelt A., Wilcke W., Wirth C., Schulze E-D., Schmid B. and Eisenhauer N.: Biodiversity effects on ecosystem functioning in a 15-year grassland experiment: patterns, mechanisms, and open questions, Basic and Applied Ecology 2017, Nr. 23.
DOI: https://doi.org/10.1016/j.baae.2017.06.002


Weitere Informationen

PD Dr. Christiane Roscher
UFZ-Department für Physiologische Diversität
Telefon: +49 341 9733212
christiane.roscher@ufz.de

Prof. Dr. Wolfgang Weisser
Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TUM
Telefon: +49 8161 71 3496
wolfgang.weisser@tum.de

UFZ-Pressestelle

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